Troja 2.0

The importance of being on facebook

 

 

Text von: Daniela Herbst
Wilde Beratung: Liam Ghilardi
Mit freundliche Unterstützung von: Karin Afshar
Bilder: Im Kopf

                                                                                                                                               

Nebst einigen Wilden Bemerkungen zu kaltem Cappuccino

Ein Dialog

Personen: Gwen und Ernesto.

Schauplatz: Ein Café, welches sich überall befinden könnte, jedoch nur virtuell anzutreffen ist. Musik im Hintergrund.

Ausgang: Gwen rührt in ihrer Tasse und ergeht sich seit längerem gefühlt in Selbstgesprächen, während Ernesto den Blick auf einen der Nebentische gerichtet hat und wohl in seinen eigenen Sphären schwebt.

                                                                                                                                               

Gwen: Kann es sein, dass du mir gar nicht richtig zuhörst?

Ernesto: Ich hielt es für unhöflich deine Selbstgespräche zu lauschen, meine liebe Gwen … Siehst du die beiden da, wie sie mit ihren Smartphones zugange sind?

Gwen: Eine wahrhaft furchtbare Unsitte. Heutzutage glauben die junge Leute Smartphones seien alles. Wie kommt es, dass du keines hast?

Ernesto: Meine liebe Gwen, Smartphones brauchen nur Leute, die ihre Nachrichten beantworten. Und ich beantworte die Meinen nie.
Aber wenn man es genauer betrachtet, ist es mit den Smatphones geradezu heldenhaft. Und ehe du Einwände erhebst, lass mich den Gedanken kurz ausführen. Schließlich ist es nicht so, dass der Kaffee kalt wird und sie diese Tatsache online stellen. Nein, sie stellen den Kaffee online und nehmen es im Dienst der allgemeinen Aufklärung in Kauf, dass er währenddessen kalt wird. Im Übrigen hat einer von beiden Cappuccino.

Gwen: Und du denkst über heißen Kaffee – oder Cappuccino – zu schreiben, der es bereits nicht mehr ist, sobald der Post seinen ersten Kommentar erhält, rechtfertigt den Verfall der Tischmanieren?

Ernesto: Darüber kann man sicher streiten. Stattdessen werde ich ein besseres Beispiel anführen. Am ersten Tag auf meiner neuen Arbeitsstelle entdeckte ich beim Gang aus dem Konferenzraum gleich neben der Tür ein interessantes Schild. Darauf stand – und ich zitiere – folgender Satz: »Im Fall eines Brandes verlassen Sie bitte das Zimmer bevor Sie die Bilder auf Facebook posten.«

Gwen: Wenigstens der Hausmeister scheint humorvoll zu sein.

Ernesto: Im Arbeitsanzug kann heutzutage jeder, selbst ein Hausmeister, in den Ruf kommen, humorvoll zu sein. Manchmal muss man eben ein paar Grundregeln festhalten.

Gwen: Und ich fürchte, so dumm dürften die gar nicht sein. Denn am Ende verhält es sich wie mit den Warnhinweisen auf Werkzeugen. Steht dort »Kettensäge nicht mit den Händen anhalten« ist davon auszugehen, dass es mindestens einer versucht hat.

Ernesto: Warnhinweise sind viel zu wichtig, um ernsthaft darüber zu reden, und genau das habe ich satt an unseren Zeiten. Über wen in alten Tagen Lieder gesungen wurden, der erntet heute höchstens Spott. Früher sind aufrechte Helden in den Krieg gezogen, haben heroische Taten vollbracht und ihr Leben riskiert. Und wozu? Ich will es dir sagen – damit die Überlebendes etwas zu erzählen hatten. Aber weiß heutzutage jemand den Helden zu schätzen, der sein Leben dafür riskiert, eindrucksvolle Brandbilder auf Facebook zu posten?! Nein.

Gwen (verträumt): Ich stelle mir eben Achilles mit einem Smartphone vor. »Achilles, du musst zum Arzt, deine Ferse…« – »Einen Moment noch, ich muss erst das brennende Troja posten und meine Mails beantworten.« Wenig später im Status von Paris … RIP Achilles. 214 Likes.

Ernesto (ebenfalls verträumt): …und Helena kommentiert ... »Er könnte wohl nicht mehr richtig laufen, nicht?« 312 Likes.

Gwen: Ich würde sagen das widerlegt deine Theorie von den Helden. Wären Achilles und Hektor damals auf Facebook gewesen, hätten sie es nie in die Geschichtsbücher geschafft, sondern höchstens einen Shitstorm ausgelöst.

Ernesto: Was meine Theorie gewissermaßen sogar bestätigt. In der Antike musste man nämlich eine ganze Stadt in Brand setzen, damit die Rauchsignale auch bis Amerika zu sehen waren und die Leute dort für einen Augenblick von ihrer Langeweile aufgelöst wurden. Heute genügt eine kleine Kerze, das man im Internet postet, und mit einer Nachricht versieht und schon empfinden tausende von Leuten plötzlich Mitgefühl mit der vom auszubrennen bedrohte armselige Kerze. Somit hat Facebook vermutlich tausende Brände verhindert.

Gwen(nachdenklich): Da kann ich dir weder zustimmen noch widersprechen.

Ernesto: Umso besser … ich mag weder das eine noch das andere.